Am Samstagvormittag, den 27. Januar 2024, fand in Friedrichstadt eine bewegende Gedenkveranstaltung am jüdischen Friedhof statt. Der Anlass war das Gedenken an die Opfer des Holocaust. Bürgermeister Tobias Tietgen legte persönlich einen Kranz nieder und richtete in seiner Rede eindringliche Worte an die Anwesenden. Er betonte, dass angesichts der aktuellen Lage in Deutschland solche traurigen Ereignisse nie wieder geschehen dürfen. Die Zeremonie am Friedhof diente als wichtiger Moment der Erinnerung und Mahnung.
Am Samstagnachmittag setzte sich das Engagement gegen rechtsextreme Tendenzen und für demokratische Werte fort. Mehrere Vertreter der SPD beteiligten sich an einer großen Demonstration in Husum. Die Demonstration, die sich gegen rechtsextreme Ansichten in der Gesellschaft richtete, zog eine beeindruckende Menge von über 5000 Teilnehmern an. Die Stimmung unter den Demonstranten war positiv und friedlich, was den Erfolg der Veranstaltung unterstrich.
Die Teilnahme von politischen Vertretern aller demokratischen Lager (CDU, SSW, SPD, Bündnis90/Die Grünen, Die Linke und weitere), an der Demonstration zeigt das aktive Engagement der Parteien für die Bewahrung demokratischer Werte und den Kampf gegen extremistische Strömungen. Der Tag war geprägt von einer starken Solidarität in der Gemeinschaft und dem klaren Bekenntnis, sich gegen jede Form von Extremismus und Diskriminierung einzusetzen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
1929 schrieb der Friedrichstädter Rabbiner Dr. Benjamin Cohen im „Israelitischen Familienblatt“ unter der Überschrift: „Aus der braunsten Provinz“: „Als vor kurzem sich eine jüdische Familie hier niederließ, wurden, obgleich es sich um einen nur mittleren Steuerzahler handelt, in der Stadtverordnetenversammlung die Worte unwidersprochen geäußert: ‚Solcher Zuzug sollte sich nur vervielfachen.‘ Niemand sollte sich daher von politischen Alarmnachrichten abhalten lassen, unsere schöne und friedliche Heimat zwischen den Meeren aufzusuchen.“
Zur selben Zeit wurde auch auf seine Initiative hin die neue Mikwe im Keller des remonstrantischen Gemeindehauses eingerichtet.
Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 änderte sich die Situation jedoch schnell. Drei Monate später wurden die Friedrichstädter durch eine Boykott-Aktion der SA am Einkauf in jüdischen Geschäften gehindert. Vereine verboten jüdischen Mitgliedern die Mitgliedschaft. Es erschienen Veranstaltungshinweise in der Zeitung mit dem Zusatz „Juden nicht erwünscht“.
Die Nutzung der Mikwe sollte den Jüdinnen verboten werden, der remonstrantische Pfarrer Hubeeck konnte dies jedoch verhindern.
Am 10. November 1938 wurde die Synagoge geschändet und die Wohnungen der jüdischen Familien zerstört. Zur Reparatur der Schäden wurden den Juden ihre letzten Wertgegenstände mit einer Sondersteuer abgenommen. Es wurde akribisch notiert, wer wie viele Silberlöffel und welchen Schmuck abgeliefert hatte.
Ab Januar 1939 mussten Juden den Namen Israel, Jüdinnen den Namen Sara annehmen. Vom Oktober 1939 an durften sie nur noch zu stark eingeschränkten Zeiten in bestimmten, genau vorgeschriebenen Geschäften einkaufen. Der alte jüdische Friedhof, vor dem wir hier stehen, sollte als solcher nicht mehr erkennbar sein. Auf Kosten der jüdischen Gemeinde wurden die Grabsteine flachgelegt und mit Erde bedeckt. Der Bitte des Gemeindevorstehers, die Würde des Platzes zu achten, wurde nicht entsprochen. Der Friedhof wurde als Schrebergartengelände genutzt, die meisten Grabsteine sind verlorengegangen.
Fast alle Friedrichstädter Jüdinnen und Juden verließen die Stadt und zogen nach Hamburg. Ob auf Druck aus dem Rathaus, um die Stadt „judenrein“ zu machen, lässt sich nicht mehr belegen, ist aber wahrscheinlich. Nur wenigen gelang die Flucht ins Ausland. Die meisten wurden von Hamburg aus in die Ghettos und Vernichtungslager deportiert und ermordet.
Wie konnte das geschehen? Warum wurde aus einem Ort der Toleranz, den der Rabbiner noch 1929 für einen Besuch empfohlen hatte, ein Ort der Ausgrenzung?
Und stehen wir heute vielleicht wieder vor einer Zeitenwende? Antisemitische Straftaten nehmen in Deutschland wieder zu. Menschen trauen sich nicht, auf der Straße Hebräisch zu sprechen, eine Kippa oder einen Davidstern zu tragen. Rechte versammeln sich in einem Haus in Potsdam und planen die Remigration, die nicht nur Millionen von Flüchtlingen, sondern auch missliebige deutsche Staatsbürger*innen treffen soll. Gibt es dann wieder eine Gestapo oder einen
Blockwart, der Andersdenkende überwacht und denunziert? Gibt es dann
wieder Ausgrenzung? Gibt es dann wieder Lager? Oder können wir
demokratischen Bürgerinnen und Bürger diese Auswüchse noch verhindern und unsere Demokratie schützen? Und sollten wir das nicht mit aller Macht tun?
Dr. Benjamin Cohen übrigens zog 1937 mit Frau und Tochter nach Hamburg, weil es in Friedrichstadt nicht mehr genügend religionsmündige Männer für einen Gottesdienst gab. Kurze Zeit später konnte die Familie nach Holland fliehen, wurde allerdings 1939 in das KZ Westerbork gebracht. Am 16. November 1943 erfolgte die Deportation nach Auschwitz, wo Bertha und Mirjam sofort ermordet wurden und der Rabbiner selbst am 31.3.1944 umkam.
„Lebende seid tolerant und allzeit wachsam!“ So steht es auf dem Gedenkstein vor der ehemaligen Synagoge und das sollten für uns alle eine Mahnung sein.
Ich bitte nun um eine Schweigeminute für die Friedrichstädter Opfer des NS-Regimes.