Hinweis: Dieser Kommentar spiegelt die Meinung unseres Autors Sebastian Kahlcke, nicht zwingend des gesamten Ortsvereins wider
Die jüngsten rechtsextremen Vorfälle auf Sylt haben eine Welle der Empörung ausgelöst. In einem Video aus einem Nachtclub in Kampen sind junge Menschen zu sehen, die rechtsextreme Parolen wie „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ skandieren und den Hitlergruß zeigen. Diese „schockierenden“ Szenen haben sowohl in den Medien als auch in der Politik für Aufsehen gesorgt. Bundeskanzler Olaf Scholz nannte die Parolen „eklig“ und nicht akzeptabel, während Innenministerin Nancy Faeser die Beteiligten als Schande für Deutschland bezeichnete.
Doch jetzt schockiert zu sein, ist in meinen Augen weltfremd. Wo war dieser „Aufschrei“, als sich Anfang des Jahres ähnliche Szenen in vielen Diskotheken Deutschlands ereigneten? Dass rechtsextreme Tendenzen in Deutschland zunehmen, ist keine neue Erkenntnis. Seit 1990 hat rechtsextreme Gewalt über 100 Todesopfer gefordert, und die Zahl der vom Verfassungsschutz beobachteten Rechtsextremen wächst stetig. Warum also der große Aufschrei gerade jetzt? Vermutlich, weil das Phänomen nun auch in der sogenannten „gehobenen“ Gesellschaft sichtbar wird. Sylt, eine Insel, die seit Jahrzehnten als Treffpunkt der Reichen und Schönen gilt, wird plötzlich Schauplatz offener rassistischer und rechtsextremer Handlungen. Diese Entwicklung zeigt, dass rechtsextreme Ideologien längst nicht mehr nur am Rand der Gesellschaft existieren, sondern auch in ihren oberen Schichten.
Diese Aufregung verdeckt jedoch die eigentlichen Probleme. Es sollte nicht überraschen, dass Wohlstandsverwahrlosung und mangelndes Geschichtsbewusstsein in bestimmten Kreisen existieren oder gar Usus sind. Viele der reichsten Deutschen haben Vermögen, deren Ursprung in der Ausbeutung während der Nazizeit und der Kolonialzeit liegt. Diesen Kontext zu ignorieren und jetzt plötzlich schockiert zu sein, ist heuchlerisch. Historisch betrachtet haben die Eliten in Deutschland oft von den düstersten Kapiteln der Geschichte profitiert, sei es durch die Arisierung jüdischen Eigentums während des Dritten Reiches oder durch Kolonialausbeutung im 19. und frühen 20. Jahrhundert .
Die öffentliche Empörung bleibt leider oft oberflächlich und unverbindlich. Empörte Posts auf Instagram, Facebook, Twitter und in WhatsApp-Statusmeldungen sind bequem und wenig zeitaufwendig – und nach ein paar Tagen wird sich dem nächsten aktuellen / angesagten Thema zugewandt. Damit verändert man nichts, damit klärt man nicht auf, damit bewegt man niemanden – außer vielleicht den Finger der eigenen Follower um auf „Like“ zu drücken. Wer wirklich etwas verändern möchte, muss sich aktiv politisch engagieren. Das bedeutet z.B. in eine demokratische Partei einzutreten, Demonstrationen zu organisieren oder an ihnen teilzunehmen, auf der Straße Zivilcourage zu zeigen und Fehlverhalten konsequent anzuprangern und anzuzeigen. Nur durch konsequente politische und gesellschaftliche Arbeit kann man rechtsextreme Tendenzen effektiv bekämpfen und eine tiefgreifende gesellschaftliche Veränderung herbeiführen.
Ein Blick auf die Reaktionen zeigt, dass viele Kommentatoren die Vorfälle auf Sylt als Zeichen einer „Wohlstandsverwahrlosung„ sehen. Die jungen Leute in dem Video tragen teure Designerkleidung, fahren teure, meist von den Eltern finanzierte Fahrzeuge und feiern in teuren und exklusiven Clubs. Diese äußeren Zeichen des Wohlstands sind jedoch trügerisch, wenn sie mit einer inneren Leere und einem Mangel an ethischem Bewusstsein einhergehen. Bildungsministerin Karin Prien bezeichnete den Vorfall als „Zeichen von Wohlstandsverwahrlosung“, und Integrationsministerin Aminata Touré nannte das Verhalten der Beteiligten „widerwärtig und ekelhaft“. Das sehe ich auch so – würde die Gruppe, die dies betrifft, aber viel weiter fassen – diese „Wohlstandsverwahrlosung“ ist kein Phänomen der Eliten – auch viele Menschen aus der Mitte unserer Gesellschaft sind erfüllt von einer inneren Leere und einem Mangel an ethischem Bewusstsein.
Es ist an der Zeit, dass wir uns von bloßer Empörung lösen und in den aktiven Widerstand gegen rechtsextreme Tendenzen treten. Bequemer Couch-Aktivismus mag kurzfristig beruhigend sein, aber er ändert nichts an den tief verwurzelten Problemen unserer Gesellschaft. Wir müssen uns der Realität stellen, dass rechtsextreme Ideologien nicht nur am Rand, sondern auch in der Mitte unserer Gesellschaft existieren. Wäre morgen Bundestagswahl würden zwischen 15-18 % der Bevölkerung die AfD wählen. Es ist die Pflicht eines jeden, der sich nicht mit diesem Gedankengut identifizieren kann, aktiv dagegen vorzugehen: Durch politisches Engagement, Bildung und konsequentes Handeln im Alltag.
Die Vorfälle auf Sylt – und auch der Umgang innerhalb der Gesellschaft damit, sind ein Weckruf, dass wir alle mehr tun müssen, um gegen Rassismus und Rechtsextremismus vorzugehen. Es reicht nicht aus, seine Empörung über soziale Medien kundzutun – wir müssen handeln. Denn nur durch unser kollektives Engagement können wir eine Gesellschaft schaffen, die wirklich frei von Hass und Diskriminierung ist.